Katalog „Revier St-37“

Zum Werk von Sandro Antal
(aus: Katalog „Revier St-37“, Kunstmuseum Düsseldorf, 1987, von Stephan von Wiese)

Die Stahlplastiken von Sandro Antal erwachsen unmittelbar aus der Lebens- und Arbeitssituation. Es ist der Mythos des Schmiedens selbst, der sich hier jeweils neu im Alltag auf überraschende Weise aktualisiert. Das uralte Bild des Hephaistos, also des griechischen Gottes des Feuers und der Schmiedekunst, der in seiner Werkstatt den Olympiern sowohl ihre Waffen wie auch ihren kunstreichen Schmuck schuf, wird – nicht nur ironisch – beschworen: Die Stahlschmiedekunst ist zunächst einmal harte körperliche Arbeit, und diese physische Komponente findet sich im Werk Antals unmittelbar thematisiert und ins Mythische – man könnte auch sagen ins Poetische – überhöht.

Auf der Ausstellung ‚(0211)‘, 1982 im Düsseldorfer Kunstmuseum, wurde das Thema der körperlichen Kraftentwicklung am Beispiel des Boxrings sichtbar: Mit allen Details – den Ringpfosten, Hockern und Trophäen sowie mit dem überdimensionalen Gong – war hier die Situation des sportlichen physischen Kampfes nachgestaltet und war in der Materialverwandlung – indem hier alles, ausgenommen die Seile, in die stählerne Erscheinung mutierte gleichsam in ein ewiges Bild gebracht. Der schwarze Spiegel, der im Ring hing, verbarg dabei ein Foto des Künstlers selbst, das dann in der Performance ‚Schlagabtausch‘, 1983 in der Aula der Düsseldorfer Kunstakademie, sichtbar wurde. Der Künstler kämpfte hier gegen sein eigenes Spiegelbild, was zugleich deutlich machte: Der allgemein gültige Mythos hat sich heute in einen individuellen verwandelt. Der Künstler, auf der Suche nach dem Grund der Dinge, stößt schließlich immer nur auf sich selbst.

In seinen geschmiedeten Arbeiten ist Sandro Antal also auf der Suche nach dem Mythos und dringt doch immer nur zwangsläufig zu einer Darstellung des eigenen Lebens und Schaffens vor. Nicht ohne Zufall treten häufig ganz persönliche Reminiszenzen ins Bild: so die mit Kohle – Sinnbild der Energie – gefüllte stählerne Wiege, so das mit Mutterboden – Sinnbild der Mutation und Vergänglichkeit – gefüllte stählerne Bett der Großmutter. Die Anlegestelle ‚Düsseldorf XI‘, 1986, bringt schließlich die persönliche Existenz auf ein beredtes Bild. Auf der einen Seite an einen Ort festgebunden, auf der anderen Seite mit dem Ponton frei auf dem Wasser schwimmend, ist die Anlegestelle Brücke vom Festgefügten ins Offene, vom sicheren Boden ins Fließende, Ungesicherte. Jeder Künstler steht mit seiner Arbeit, seinem Werk mitten auf dieser Brücke. Die Transformation von Arbeit in Kunst bringt das Werk ‚Made by‘ von 1984 auf eine knappe Formel: Zwei aus Stahl geschmiedete Werkbänke stehen durch die gegenseitige Verspannung im Schraubstock in einem Balance-Akt, die eine auf dem Boden stehende Werkbank trägt die zweite, die gleichsam frei in der Luft schwebt: Das Schwere wird schwerelos, das tägliche Werkzeug wird zum Kunststück.

Das Motiv der aus Stahl geschmiedeten Werkbank bringt das Werk von Sandro Antal auf einen anschaulichen Begriff: Es ereignet sich jener Oberschlag des Nützlichen ins Phantastische, wie er dann gleich mit fünf stählernen Werkbänken in der hier im Kunstmuseum Düsseldorf gezeigten Arbeit ‚Revier ST 37‘ auf besonders überraschende Weise glückt. Diesmal sind in die Spannbacken der Werkbank Eisenstücke mit Glühbirnen eingespannt. Einem ‚Rudel‘ von vier Vierzehnendern steht dabei ein Sechzehnender vor. Die Arbeit wurde ursprünglich für eine Ausstellungssituation in Lüttich geschaffen und war dort für eine nicht in Betrieb genommene unterirdische Busstation konzipiert. Im rohen Betonguß wirkte diese unwirtliche Grube, bei der statt der ursprünglich geplanten Rolltreppe nun eine Holztreppe in die Tiefe führte, wie der künstliche Kletterhang in irgendeinem Zoo. Das Rudel Hirsche fand hier so im wallonischen Kohlebecken sein Revier, die metaphorische Sprache dieser Arbeit setzt alle möglichen Assoziationen und Bezüge frei, hier wird mit hephaistischem Vermögen der Stahl auf eine vielschichtige, ebenso ironische wie ernsthafte Weise zum Klingen, ja in diesem Fall zum Leuchten gebracht. Natürlich wird auch auf jene unglücklichen röhrenden Hirsche angespielt, die mit Recht immer als der Inbegriff spießiger Wohnkultur galten: Der röhrende Hirsch als Gemälde oder auch als Skulptur – berühmt ist der Hirsch von Pallenberg im Düsseldorfer Hofgarten – ist Surrogat für nicht erlebte Natur, nicht ausgelebte Kraft. Antals Stahl-Hirsche jedoch sind gerade nicht Surrogat, sie sprengen das Kitsch-Bild, denn es sind ja in der Tat Kraftakte, es ist gebündelte Energie, die hier zum Strahlen gebracht wird.

Die Spannung der Irritationsmomente, die in dieses Kunst-Stück eingebaut sind und die hier ständig offen gehalten werden, sind wieder solch ein beziehungsreicher Balance-Akt, wie er individuelle Mythologie per se auszeichnet.

Stephan von Wiese