Katalog „Sandro Antal“

HEAVY METAL INSTRUMENT
(aus: Katalog „Sandro Antal“, Düsselstahl Skulptur Metall, Flottmann-Hallen Herne, 2000)

Schweres Metall (wie Eisen, Stahl, Kupfer etc.) ist Hauptprodukt unserer Region und prägt hier seit mehr als einem Jahrhundert die Landschaft, das Leben und die Menschen. Schwer-Metall ist der Werkstoff des Bildhauers Sandro Antal. Die sogenannten „Schwer-Metall-Instrumente“ bilden seit fast zwei Jahrzehnten ein Hauptthema seiner Arbeiten. Dabei hebt der wörtliche Kontrast zwischen Werkstoff und Funktion sowohl Widersprüchlichkeiten als auch Gemeinsamkeiten von Aussage und Wirkung hervor: „Heavy Metal“ heißt „Schwer-Metall“, bezeichnet aber ebenso eine Musikrichtung – „Instrument“ bedeutet sowohl „Werkzeug“ als auch „Musikgerät“.

Damit offenbart sich der Werktitel HAEVY METAL INSTRUMENTS als Wortspiel, das wiederum die Ambivalenz der Werke widerspiegelt. Antals Arbeiten sind niemals eindeutig, sondern tiefgründig, poetisch und oft voller Humor. Das Spiel des Künstlers mit der Sprache ist Ausdruck seines Spiels mit der künstlerischen Aussage – wobei die zunächst scheinbar heitere Leichtigkeit zur Erkenntnis ernster Wahrheit führt.

Die beeindruckende Ausstrahlung von Antals Instrumenten ergibt sich unmittelbar durch ihre einfache geometrische Form und ihr sichtbares physikalisches Gewicht. Neben den Gong-Arbeiten gibt es verschiedene Objekte wie den „Klangtisch“, die „Harfe“ und andere, der Harfe im Aufbau verwandte Werke namens „concerto grosso“ oder „allegro negro“ etc.

Bei der großen Wandarbeit „Harfe“ handelt es sich um einen hohlen quadratischen Resonanzkörper mit einem Ausschnitt, hinter dem die im Inneren aufgehängten metallenen Klangrohre sichtbar sind. Durch ihre Größe, ihre strenge Form und das rauhe Material vermittelt Antals „Harfe“ eine Objekthaftigkeit, deren Wirkung mit den bekannten, eher zierlichen Saiteninstrumenten gleichen Namens nichts gemeinsam hat. Eine formale Verwandtschaft mit den barock geschwungenen Konzertinstrumenten deutet allenfalls der Bogen des Schalloches an. Dabei ist das „Spiel“ beider Instrumente höchst gegensätzlich: Das Zupfen zarter Saiten ist hier durch leichtes Beklopfen von Rohren ersetzt. Wie kommt es da, daß der Titel von Antals Werk dennoch äußerst geeignet erscheint?

Auch hier liegt die Antwort in der ironischen Wortwahl des Künstlers. Sein Titel benennt den Gegensatz und läßt dadurch den Betrachter neue Einsichten finden: Entgegen der eher auf das Geistige und die Psyche des Zuhörers ausgerichteten Wirkung der Orchesterharfe betont der Bildhauer die kraftvolle physische Ausstrahlung seines Objektes. Antals Harfe bringt keine sphärischen Klänge hervor, sondern vermittelt eindeutig das Hier und Jetzt – der laute Klang und die Vibration seiner Arbeit sind unausweichlich und körperlich spürbar. Wie Antals „Harfe“ nehmen auch seine anderen Klanginstrumente über den physischen Eindruck Einfluß auf die Psyche des Betrachters, der sich vor der optischen wie akustischen Präsenz dieser Arbeiten geistig und körperlich behaupten muß.

Ähnlich verhält es sich mit Sandro Antals Gong-Objekten, die seit 1982 entstehen: Der Gong ist ein aus dem Fernen Osten stammendes Bronzeinstrument, das in Ländern wie Indien, Malaysia oder Tibet für die religiöse Versenkung von Bedeutung ist. Der Gong ist somit das traditionelle Instrument der inneren Versammlung. In unserer westlichen Kultur gibt der Gong das profane Signal zur Zusammenkunft: bei Tisch oder besonders im Sport, wo er die nächste Runde ankündigt und damit die Sportler (z.B. Boxer oder Ringer) zu erneuter Konzentration auffordert. Antals Gong-Objekte vermitteln ein meditatives Erlebnis, Indem sie sowohl durch ihre elementare Größe und Form als auch durch ihren erhabenen Klang Ehrfurcht in uns auslösen. Dabei sind sie von dem bei uns bekannten Tischgong ebensosehr entfernt wie von dem religiös vergeistigten Bronzeinstrument der Tibeter.

Diese Wirkung liegt vor allem begründet in der symbolträchtigen Formensprache. Jeder Gong von Sandro Antal besitzt eine Mindestgröße, die unser menschliches Empfinden beeindruckt. Seine Kreisform ist ein universelles Ganzheits-Symbol für Unendlichkeit und Einheit von Zeit und Raum. Die leichte Wölbung der Gong-Scheibe deutet die Vollendung zur Kugel an. Kreis und Kugel symbolisieren Vollkommenheit und Ganzheit. Manchmal umgibt den Gong ein quadratischer Resonanzkörper: Der Kreis ist einem Quadrat eingefügt. Beide Formen bilden die harmonische Einheit von statischer Ordnung und unendlicher Dynamik.

Hinzu kommt hier wie bei allen Instrumenten von Sandro Antal die Wirkung des Materials. Das rohe Metall vermittelt sowohl physikalisches Gewicht als auch Bedeutungsschwere. Jeder Gong ist „gezeichnet“ von kalligraphischen Spuren der eigenen Geschichte. Dabei strahlen Material und physische Präsenz der Objekte eine Zeitlosigkeit aus, vor der die eigene Vergänglichkeit bewußt wird. Auch der Klang beeindruckt den Betrachter: Die Schwingungen ergreifen unmittelbar physischen Besitz von unserem Körper. So wird der Schlag auf den Gong zur meditativen Handlung, bei der man seine eigene Existenz zu reflektieren beginnt.

Sandro Antals „Instrumente“ sind überhöhte Sinnbilder unseres alltäglichen Lebens. Seine Gong-Objekte sind wie seine anderen HEAVY METAL INSTRUMENTS unserer Zeit entrückt, denn sie sind keine modernen Gebrauchsobjekte, sondern zeitlos gültige Kunstwerke.

Eva Müller-Remmert

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TISCHE

Esstisch, Schreibtisch, Küchentisch, Arbeitstisch, Stammtisch, Waschtisch …Tischbein, Tischblatt, Tischdecke, Tischgesellschaft, Tischwein, Tischgast, … Die einschlägigen Lexika der deutschen Sprache bieten Dutzende solcher Wortzusammensetzungen an, in denen das Wort Tisch dominierendes Element ist. Unser guter alter Tisch ist offensichtlich sehr vielseitig. Und er spielt eine gewichtige Rolle nicht nur im Alltag, bei der Arbeit, im täglichen Leben, sondern auch in der Kunst. Endlos die Reihe der Bilder, auf denen Tische zu sehen sind, ob als Ort der Zusammenkunft von Menschen, als Ablage für Gegenstände, als Tisch in jeder nur denkbaren Funktion – das Bild-Material für eine Kulturgeschichte des Tisches ist unerschöpflich.

Der Tisch ist auch ein zentraler Gegenstand im Werk von Sandro Antal. Eine frühe Arbeit aus dem von ihm bevorzugten Material Stahl trägt den Titel SKULPTUR TISCH. Ein rechteckiger Stahltisch, an dessen Längsseiten je drei und an dessen Schmalseiten je ein Hocker stehen, verkörpert programmatisch das, was Antal in den letzten zwanzig Jahren immer präziser ausdifferenziert: die SKULPTUR TISCH ist als ein auf das Wesentliche reduziertes Sinnbild des Gebrauchsgegenstandes „Tisch“ zuallererst ein Kunstobjekt.

Er ist der archaische, zeitlose Ort, an dem Menschen sich versammeln, an dem sie essen, arbeiten, feiern, reden, miteinander sind. Seine Form ist klar, keiner Stilrichtung, keiner Zeit verpflichtet. An diesen Tisch möchte man sich setzen, man möchte ihn in seiner Funktion erfahren, ihn nutzen zu all dem, wofür ein Tisch eben genutzt werden kann. Wir können uns vielleicht vorstellen, den, der sich mit uns an diesen Tisch gesetzt hat, über denselben zu ziehen oder unter diesen zu saufen. Solange wir unsere Füsse unter diesen Tisch stellen, lassen wir uns auftischen, wie und was dem Tischherrn gefällt. Bis irgend jemand reinen Tisch macht oder das Tischtuch zwischen uns zerschneidet.

Er ist schon sehr typisch abendländisch, dieser Gegenstand mit vier Beinen und einer waagerechten Platte obenauf. Und er hat sich im Laufe der letzten drei Jahrtausende auch deutlich verändert: war er doch anfänglich in Griechenland noch als diskös eine Wurfscheibe, die in Rom zum discus, der Scheibe, die auch Schüssel war, mutierte, bevor in Germanien der diskuz als Schüssel und Kessel aufkam. Genauer gesagt war dieser germanische diskuz eine kleine hölzerne Platte mit einer Vertiefung, die auf einem drei- oder vierbeinigen Gestell befestigt war. Bei den Mahlzeiten bekam jede Person ihren eigenen dergestaltigen Esstisch vorgesetzt, der zugleich auch Essschüssel war. Von der Schüssel zum Tisch war es also nur ein kleiner Schritt. Die ursprünglichste Funktion des Tisches ist demnach die des Esstisches, an dem zuerst immer nur eine Person, später aber die ganze Familie bzw. die gesamte Tischgesellschaft sich auftischen ließ und tafelte. Der Tisch wurde zu einem zentralen Ort von Gemeinschaft und Geselligkeit, und schnell war klar, dass er auch zum Schreiben, zum Arbeiten und für vielerlei anderes zu nutzen war.

Antals SKULPTUR TISCH steht in seiner Klarheit und Geradlinigkeit in dieser Tradition unverrückbar fest. Er ist der sichere Ort, an dem gegessen und getrunken, geredet und gestritten, gefeiert und getafelt wird. Seine Solidität prädestiniert ihn aber auch zum Arbeitstisch, zur Werkbank. Schnörkellos verkörpert er das, was den Tisch „an sich“ ausmacht. Er lädt ein Platz zu nehmen, ist aber gleichzeitig schwer, spröde, hart und kalt. Er ist der Tisch in all seinen Funktionen gleichzeitig, aber er ist eben nicht nur der Tisch in seinen Funktionen, der Gegenstand des täglichen Gebrauchs, sondern das Material offenbart: dieser Tisch ist die SKULPTUR TISCH.

Stahl ist neben der Kohle das Material, das dem Ruhrgebiet, dem Arbeits- und Lebensraum von Sandro Antal, seit der Industrialisierung seinen Stempel aufgedrückt hat, und er ist das Material, mit dem Antal sich klar zu dieser schwerindustriellen Prägung seines Umfeldes bekennt. In der SKULPTUR TISCH vereint Antal die Form und Funktion des Tisches mit der Archaik des Werkstoffs, der die Geschichte einer ganzen Region und von Millionen der dort lebenden Menschen bestimmt hat. Er reflektiert seine eigene Position in diesem Kultur- und Wirtschaftsraum in der Auseinandersetzung mit dem, was sowohl ihn selbst als auch seinen Lebensraum und seine Lebenszusammenhänge geprägt hat, und er gelangt dabei zu einer klaren, starken, zeitlosen Formensprache.

Die Arbeit MADE BY DÜSSELSTAHL besteht aus zwei Werkbänken (zwei Tische und zwei darauf montierte Schraubstöcke). Eine der Werkbänke steht auf ihren vier Beinen. An einer ihrer Schmalseiten ist ein Schraubstock befestigt, in den eine kleine Stahlplatte eingespannt ist. Die Stahlplatte ragt oben aus dem Schraubstock heraus und ist dort in einen zweiten, kleineren eingespannt. Dieser kleinere Schraubstock ist ebenfalls mit einem Tisch verschraubt, so dass der zweite Tisch mit den Beinen nach oben über dem ersten schwebt, nur durch die von beiden Schraubstöcken gleichermassen eingespannte Metallplatte miteinander verbunden bzw. von dieser in seiner Schwebeposition gehalten. Oben und Unten scheinen in dieser Arbeit austauschbar, wenngleich beide Teile nicht symmetrisch sind. Der in der Schwebe gehaltene Tisch schwebt mit einer seiner Längsseiten über einer der Schmalseiten des unteren Tisches: die Rechtecke der Tischplatten sind um 90° zueinander versetzt. Ausserdem sind die beiden Schraubstöcke in ihrer Größe deutlich unterschiedlich. Der Tisch steht als solide Werkbank mit angeschraubtem Schraubstock fest auf dem Boden und trägt sein Ebenbild auf dem Kopf. Das Bindeglied zwischen der Festigkeit und Stabilität dokumentierenden sicher auf dem Boden stehenden Werkbank und dem kopfüber dynamisch und leicht schwebenden Pendant ist – das Material selber: ein Stück Stahlblech. Ihm kommt die Schlüsselposition zu. Es verbindet die Ebene der handwerklichen Arbeit mit der der geistigen, der Kopfarbeit. Im Material finden Hand- und Kopfwerk zueinander, werden eins, tragen sich gegenseitig.

Die LICHTUNG tritt dem Betrachter unverhohlen augenzwinkernd gegenüber. Zwei Werkbänke sind so aufeinander gestellt, dass die untere fest auf ihren Beinen stehend die obere trägt. In einer animalischen Kopulationsstellung hat die obere zwei Beine auf die „Schultern“ der unteren gelegt, zwei Beine stehen auf dem Boden, fast wie auf Zehenspitzen. In dem Schraubstock der oberen Werkbank ist ein von Glühbirnen an den Enden erleuchtetes stählernes stilisiertes Geweih zu erkennen, wodurch diese Werkbank unversehens zu einem in kraftvoller Begattung begriffenen Hirsch, zu einem mächtigen Vierzehnender, mutiert. Der röhrende Hirsch als Inbegriff verkitschten, spießigen Kunstverständnisses kommt in den Blick, eine Zierde zahlloser „guter Stuben“, Verkörperung biederster Idyllevorstellungen. Doch von Kitsch keine Spur: Die Formensprache ist so klar und kraftvoll wie in den übrigen Arbeiten, frei von Überflüssigem oder manieristischen Schnörkeln. Erst die Phantasie des Betrachters formt das Bild vom röhrenden Hirschen als Ersatz für ein Naturerlebnis, das es weit und breit in dieser Form nicht (mehr) gibt. Die LICHTUNG ist der Ort, an dem sich elementare Vitalität Ironisch im stilisierten Abbild des Stahlhirschen manifestiert. Die kleinbürgerliche Idyllevorstellung wird transformiert in einen Kraft-Akt.

BLACK EVEREST thematisiert erneut das Spannungsfeld, in dem das Leben an Rhein und Ruhr seit dem neunzehnten Jahrhundert steht und das sich erst in den letzten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhundert durch den vielzitierten Strukturwandel verändert hat. Zum Werkstoff Stahl tritt hier der zweite, das Ruhrgebiet überhaupt erst wirtschaftlich definierende Werkstoff der Montanindustrie, nämlich die Steinkohle. Ein kegelförmiger Steinkohleberg von ca. 3 m Basisdurchmesser wird oben von einem Stahltisch begrenzt, dessen vier Beine nahezu vollständig in der Steinkohle versunken sind. Die Spitze des Kohleberges fehlt, statt dessen sehen wir auf der Tischplatte ein stählernes Zelt sowie eine stählerne Feuerstelle.

Die Szene mutet unheimlich an: Weder finden wir ein Lebenszeichen desjenigen, der diesen unwirtlichen Rast- und Lagerplatz eingerichtet hat oder ihn nutzt, noch gibt es einen Zugang oder gar Spuren, die auf Benutzung hindeuten. Die Kohle ist der Sockel, das breite Fundament, auf dem eine spartanische Installation aus Stahl das Allernotwendigste bereit stellt: ein Dach über dem Kopf und eine Kochstelle. Beides, die Kohle und der Stahl, sind deutlich in einen künstlerisch Inszenierten Zusammenhang gestellt, sind ihrer eigentlichen Verwendungs- und Nutzungszusammenhänge entnommen worden. Es sind aber gerade diese beiden Materialien, die die notwendige Voraussetzung für die lange Blütezeit der Schwerindustrie in dieser Region bildeten, die die Geschichte der Menschen und der Städte an Rhein und Ruhr über Generationen hinweg geprägt haben. Was bleibt, sind die Berge von nicht genutzter Steinkohle, zu riesigen Halden aufgetürmt, und die stählernen Überreste gigantischer Werksanlagen, heute als Industriedenkmäler zur Besichtigung freigegeben. Der Tisch als konstitutiver Faktor des „Zuhause“ gründet wie in dieser Installation, so auch in der Geschichte vieler Ruhrgebietsfamilien immer noch tief in der Kohle.

Dass Sandro Antals Auseinandersetzung mit dem, was ihn und seine Lebenszusammenhänge maßgeblich geprägt hat, viel Raum für Ironie lässt, zeigt sich in der BONNER RUNDE, einer Arbeit, in der wiederum ein Tisch den Mittelpunkt bildet. Allerdings ist es kein Tisch in einem der gerade skizzierten Verwendungszusammenhänge, sondern dieser niedrige und im Verhältnis zu den beiden Stühlen rechts und links sehr kleine Tisch dient als „Spielfeld“ für eine kleine Metallkugel. Diese Kugel liegt exakt in der Mitte der golden lackierten gläsernen Tischplatte. Die beiden Stühle bestehen ebenso wie der Tisch aus Stahlrahmen, die Felder der (überhohen) Rückenlehnen und der Sitzflächen sind mit schwarz bzw. rot lackierten Glasplatten gefüllt.

Die Verwendung von Stahl als Inbegriff von Härte und Festigkeit in Verbindung mit Glas, dem Inbegriff der Zerbrechlichkeit, verleiht den Stühlen eine sehr eigentümliche Spannung, die durch die Farben Rot und Schwarz politisch pointiert und ironisiert wird. Diese Ironisierung wird aufgegriffen in der labilen Balance der Metallkugel auf der gläsernen Tischplatte: jeder Luftzug scheint sie in Bewegung versetzen und damit zum Verlassen ihres idealen, ausgewogenen, unparteiischen Standpunktes bewegen zu können. Gleichzeitig liegt sie fest und unbewegt an ihrem Ort, wie eine einzelne Schachfigur mitten auf einem imaginären Spielfeld und noch nicht ins Spiel gebracht. Die Spieler sind noch nicht anwesend, es bleibt offen, ob und wann sie kommen werden, ob es überhaupt ein Spiel geben wird. Die BONNER RUNDE ist vollkommen statisch, birgt aber eine vielschichtige Dynamik in sich, die jederzeit aktiviert werden kann.

Dieser kleine Ausschnitt von Tischen in unterschiedlicher Funktion und verschiedenartiger Verwendung aus Sandro Antals bildhauerischem Werk mag genügen, um anzureissen, was als künstlerische Konzeption latent im Hintergrund vorhanden ist und immer wieder teils ironischaugenzwinkernd, teils kraftvoll-ernsthaft deutlich wird. Johannes auf der Lake hat dies so formuliert: „An einem Tag in die Werkstatt gehen und an der Werkbank aus Werkstoffen mit Werkzeug ein Werkstück machen. Mit Kopfarbeit und Handwerk also einem Lebenswerk auf der Spur sein, das ohne Blendwerk versucht, reines Kraftwerk zu sein, mit einem Wort, Kunstwerk.“

Volker Beindorf-Wagner

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DER SCHÖPFER

Die Konzeption der Arbeit beruht auf zwei Voraussetzungen: 1. auf der Tatsache, daß die Frage der Ernährung der Weltbevölkerung eine der zentralen Fragen des nächsten Jahrtausends sein wird. z. auf der Tatsache, daß die Schöpfkelle, der Schöpfer, als universelles. elementares Werkzeug der Ernährung weltweit und überkulturell vertraut ist.

DER SCHÖPFER, so auch der Titel der Arbeit, hat die Form einer Schöpfkelle, deren Inhalt aus dem sie umgebenden Platz geschöpft zu werden scheint. Der Platz selbst kann gestaltet werden als Oberfläche eines „Eintopfes“ mit „Fettaugen“ und .,Klößchen“ aus Stahl. Die „Fettaugen“ schwimmen bündig mit dem Belag des Platzes abschliessend, die „Klößchen“ ragen unterschiedlich weit zum Teil als Kugeln, meist jedoch als Kugelsegmente aus dem „Eintopf“ heraus.

DER SCHÖPFER ist nicht nur in seiner Formgebung und seinem Material klassisches Symbol für die menschliche Kulturleistung des Kochens, der Zubereitung von Nahrung, sondern „Der Schöpfer“ ist darüber hinaus als oberste Wesenheit des Glaubens der, der Existenz erst ermöglicht, weil er sie schafft. Auf einer anderen Ebene ist der Schöpfer derjenige, der kreativ ist, der (Kunst)Werke, aber auch wissenschaftliche Erkenntnisse hervorbringt. Und natürlich ist der Schöpfer auch ein weltweit verbreitetes Haushaltsgerät zum Schöpfen und Austeilen von Speisen.

Der vorliegende Entwurf umfaßt bereits im Titel diese Bedeutungsebenen. Die Gesamthöhe von 12 Metern zieht die Aufmerksamkeit des Betrachters schon aus großer Entfernung auf sich, eine leichte Schrägstellung der Kelle, deren Durchmesser ca. 4.50 Meter beträgt, verstärkt den Eindruck von Bewegung, von Dynamik, vom gerade stattfindenden Vorgang des Schöpfens.

DER SCHÖPFER kann völlig eigenständig, aber auch zusammen mit den oben erwähnten ..Fettaugen“ und „Klößchen“ Installiert werden. Die „Fettaugen“, in den Boden eingelassene Stahlplatten von 50 bis 100 cm Durchmesser und 50 mm Dicke, können durch ihre Anordnung zum Schöpfer hinführen, die „Klößchen“, aus dem Boden ragende Kugelsegmente, können z.B. von Skateboardfahrern oder Bikern als Objekte ihrer artistischen Fähigkeiten entdeckt werden und so zur Belebung eines Platzes und zur Akzeptanz der Örtlichkeit beitragen; Kinder werden diese Objekte kletternd, rutschend, spielend erobern. Es versteht sich von selbst, daß zur Vermeidung von Unfällen nur bündig in den Boden eingelassene Stahlplatten als ,.Fettaugen“ Verwendung finden. Die Kugeln und Kugelsegmente außerhalb des Schöpfers sind so im Boden verankert, daß keinerlei Gefahr, auch bei Intensivem Begehen, Befahren und Bespielen der Objekte, entstehen kann.

DER SCHÖPFER ist ein anschauliches. von jedem Passanten, jedem Besucher deutlich zu erkennendes markantes Zeichen, das zugleich ein einprägsames Symbol für eine der gravierendsten Fragen unserer nächsten Zukunft ist. Damit bietet er sich geradezu dafür an, in Form eines „Wahrzeichens“ von der Bevölkerung akzeptiert zu werden.

DER HIRSCH

Der „röhrende Hirsch“ -jedermann geläufiges, zum Schlagwort gewordenes Exempel von Kitsch. Plötzlich wieder da. Zwar nicht röhrend, – aber dennoch. Hätte man vor Jahren einem Kollegen gesagt, seine Arbeit sei ja wie „…“: auf immer und ewig beleidigt wäre der gewesen – wenn er einen nicht gleich zusammengeschlagen hätte. Man bedenke, der heavy metal Bildhauer: ständig sich herumplagend mit den Frage-Traditionen von Masse gegen Raum, mit der Einführung industrieller Materialien und Produktionsformen in die Kunst, nach Jahrzehnten heroischer Begeisterung für das Konkrete, nicht Illusionistische, das reale Ding-& Da-Sein der modernen Plastik, weiter und weiter entwickelnd all die Diskurse der Tatlin. Brancusi, Archipenko, Rodschenko, Pevsner, Gabe, Smith. Caro. Judd & Serra: immer verpflichtet der Authentizität des Materials, der Wahrhaftigkeit der Konstruktion, der Ding-Haftigkeit der Plastik. Ehrlich und klar zu sein hatte er sich geschworen, nur keine Metaphern verwenden. nur keine Mätzchen und auf Teufel komm heraus keine Anthropomorphie – auf immer und ewig Schluß sollte sein mit dem Mummenschanz der Symbole: so einem ist es passiert. Einem aus der Fraktion mit den Drillich Overalls, mit den Feldjacken und den Springerstiefeln. Einem von den Jungs, die doch immer 150%ige Anti-Illusionisten waren, auf die man sich in dem Punkt doch verlassen konnte.

Einem aus dieser Zunft ist es unterlaufen: plötzlich, wie von selbst, wie in einer Metamorphose hat er sich „vergegenständlicht“. Aus dem Werkzeug des um alles in der Welt nicht Illusionen schmiedenden Künstlers: aus Werkbank, Schraubstock und den herumliegenden Halbzeugen formt sich das Vieh. Nicht Pferd. nicht Kuh, nicht Lamm noch Löwe: ausgerechnet der vermaledeite Hirsch Und ausgerechnet aus diesen Dingen: diesen Utensilien realer. konkreter, nicht vorgaukelnder, sondern wirkliche Dinge im wirklichen Raum schaffenden Metallbildhauerei: standhaft. dauerhaft, wetterfest, solide, ein edelmetallenes Fakt: der Hirsch. Nicht gegossen, geschnitzt, gebastelt irgendwie: nein ausgerechnet aus Schraubstock, Tisch und den noch nicht verarbeiteten Serien-ProduktFertigteilen: steht am Eingang und strahlt. Rudelweise gleich, als kämen sie aus dem Wald getrabt, wie Irrläufer stehen sie da und bleiben fraglich. Na ja, damals in Liege, auf den Betonpodesten der nicht installierten Rolltreppen in dieser Bauruine. Aber nun, hier am Museumseingang?

Der Hirsch – das war doch immer nur ein Alptraum, Man war sich doch sicher, daß er endgültig verdrängt sei ins Revier der Kaufhaus-Galerien, die für die ewig Gestrigen. (Der Wald, dieses Ur-Bild von Deutschtümelei und hohler Romantik, er krepiert zumindestens vor der autonom sich als Realität setzenden Technik. Is doch so.) Jetzt aber gehts einem wie dem Paranoiker, dem seine unterdrückten Phantasien irgendwann zur manifesten Realität werden. Da steht er. Nicht wie beim Zauberlehrling, der die dunklen Mächte, die er rief nicht mehr bändigen kann. Ganz einfach, wie der alte Schnack unter Bildhauern, daß die Figur ja immer schon im Stein drin stecke: er war immer schon (oder noch?) da: er steckte schon drin in Tisch, Schraubstock. Vierkantrohr und Osram. Und überhaupt, wie war das: aufgehoben sein sollte doch die Vergangenheit im Neuen, doppelt und dreifach. Tatsächlich. Da war aber ein Rest nicht ganz aufgehoben und verwertet. Auch so etwas: einen unerklärlichen Rest habe die Kunst immer. Aber Reste, die werden ausgelagert. zwischengelagert, endgelagert. Und dann sind sie einfach da und strahlen.

Ludwig Locker