Das Kunstwerk als Triebwerk
Zu den Stahlskulpturen von Sandro Antal
(aus: Katalog „Triebwerk“, Handwerkskammer Düsseldorf, 2004, von Stephan von Wiese)
Sandro Antals neue Skulptur Triebwerk 2003, die dieser Ausstellung den Titel gibt, besteht aus zwei stählernen Werkbänken, von denen die eine fest auf dem Boden steht, während die andere außer Rand und Band geraten zu sein scheint. Mit zwei Beinen ist sie gleichsam auf die andere hinaufgesprungen. In ihren Schraubstock ist ein stählernes Kreissegment – ein Fundstück, ursprünglich Teil eines Kippladers – eingespannt. Das Bild eines Hirsches mit Geweih wird evoziert, die beiden von der Anmutung her so kühlen Werkbänke scheinen dadurch mit animalischen Kräften ausgestattet zu sein, das heiße Bild einer Begattungsszene wird wachgerufen. Technik und Natur vereinen sich zwitterhaft in ein- und demselben Werk.
Der Titel der Arbeit, Triebwerk, läßt ebenfalls Assoziationen in beide Richtungen zu. Der Begriff Triebwerk als die Sammelbezeichnung für Maschinen, die die zum Antrieb eines Fahrzeugs erforderliche Energie liefern, kann – allerdings ungewöhnlich – auch verstanden werden als „Werk der Triebe“, vom Triebe besessen. Beide Aspekte treffen in spannungsvoller Transformation hier zugleich zu. Man kann die Skulptur durchaus als Maschine begreifen, die freilich nun nicht Motoren, wohl aber Gefühle, Emotionen, Visionen in Gang bringt. Auf der anderen Seite ist die technische Begattungsszene eine Metapher für ein Naturereignis. Das Bildsymbol verklammert Natur und Technik in erhellender Zusammenschau. Das bildhauerische Werk Antals, so läßt sich also schon eingangs feststellen, hat zwei Pole: als Kältepol das Material als Basis der künstlerischen Arbeit, als Wärmepol die Rituale im Leben und in der Natur als Urbilder der Kunst.
In Sandro Antals Skulpturen scheinen die realen Dinge wie gepanzert, wir stehen vor einer Welt aus Stahl. Stählern sind Schemel und Tische, Werkzeuge und Werkbänke, Musikinstrumente, selbst die Steine. Die Realität scheint verzaubert, ist scheinbar nicht mehr vergänglich, sondern von fester Dauer. Der dominante Materialaspekt in diesem Werk ist aber nicht bloß die Demonstration eines vordergründigen Materialismus, er hat eine symbolische Seite: Kunst verwandelt die fragile, dem Zeitfluß unterworfene Welt des Seienden, gibt den Dingen Dauer und Bestand.
Es führt also nicht weiter, wenn man den „Düsselstahl“, aus dem das Werk gefertigt ist – eine Arbeit von 1984 heißt in der Tat „Made by Düsselstahl“ – tautologisch schon als den Inhalt des Werks begreift, für den das Material die äußere Haut liefert, so als würde hier mit Skulptur das Hohelied auf die Arbeitswelt im Rhein-Ruhr-Revier gesungen. In der Tat scheint das Werk in seiner metallenen Panzerung zunächst durchaus den genius loci der heimischen Industrie zu bedenken. Diese oberflächliche Bewertung wird durch die genauere Betrachtung der einzelnen Kunstwerke schnell erweitert. Nehmen wir jenes Werk von Antal, das mit seinem Titel das Mißverständnis herausfordert, einmal genauer unter die analytische Lupe, so wird die Interpretation, die im Werk einen Hymnus auf die schwerindustrielle Arbeitswelt sieht, schnell in Verlegenheit gebracht.
Zwar ist die zweiteilige Skulptur „Made by Düsselstahl“, bei der zwei Werkbänke in merkwürdiger Verdoppelung aufeinander balancieren, eine reine Stahlarbeit. Die nachgebildeten Werkbänke wurden vom Künstler aus zugeschnittenen Stahlblechen gebaut. Die Schraubstöcke beider Bänke sind – als integriertes Ready-made – veritables Werkzeug, indem sie dasselbe Werkstück einspannen, schwebt die obere Werkbank gleichsam kopfunter, mit den Tischbeinen nach oben, während die untere fest auf dem Boden steht. Die beiden Werkbänke vollbringen gleichsam einen „Pas de deux“, ein artistisches Kunststück, eine Funktion nehmen sie nicht wahr, im Gegenteil, sie negieren solche Funktionalität: Das Kunststück selbst, der Schwebezustand, ist hier die Arbeit, sonst wird nichts her- und dargestellt.
Indem die beiden Werkbänke außer Funktion gesetzt sind und sich nur noch gegenseitig selber tragen, sind sie dem Produktionszusammenhang entzogen und verweisen eindeutig auf den Kunstzusammenhang. Mit dem Qualitätssignum „Made by Düsselstahl“ wird also ein künstlerischer Sachverhalt etikettiert, kein Materialgütesiegel. „Düsselstahl“ ist hier das Synonym für eine „Düsseldorfer Schule“ der Skulptur, bei der Dinge aus ihrem Funktionszusammenhang desintegriert werden, um in Institutionen der Kunst als Symbolsprache neu aufgeladen zu werden und damit eine neue eigene Bedeutungsheftigkeit zu erlangen. Diese Transformation des Gegenstandes ist Modell für einen veränderten Blick auf die Welt. Mit dieser künstlerischen Haltung stand Antal zu Beginn der 80er Jahre, als das Werk einsetzt, nicht allein, sondern war eingebunden in einen Kreis jüngerer Bildhauer, die sich als „Modellbauer“, Konstrukteure für veränderte Sichten, verstanden.‘ Beflügelt wurden sie dabei, insbesondere im Umkreis der Düsseldorfer Akademie, vom Vorbild des künstlerischen Wirkens von Joseph Beuys, der mit seinem „erweiterten Kunstbegriff“ die „soziale Plastik“ proklamiert hatte und mit seinem Werk eine eigene Metasprache von Form und Material schuf. Die raumbezogenen Arbeiten und Aktionen von Klaus Rinke waren für diese „Schule“ von jungen Künstlern ebenso inspirierend.
Mit seinem Boxring, 1982 auf der Düsseldorfer Ausstellung „021 1 “ präsentiert – Blickpunkt war hier der große, 200 kg schwere über dem Ring hängende Gong, Initialpunkt der Reihe stählerner Musikinstrumente Heavy metal – hatte Antal ein programmatisches Museumsdebüt. Die Rauminstallation hatte Modellcharakter für die gesellschaftliche Situation junger Künstle, sie wurde 1983 in der Aula der Düsseldorfer Kunstakademie Bühne für Antals Boxaktion Schlagabtausch. Voraus ging der Skulptur-Tisch, 1980, ein Tisch mit acht Schemeln, ein Ensemble von Stahlskulpturen, das erstmals die künstlerische Grundposition sichtbar machte. Diese gebrauchsfähigen Möbelskulpturen waren handgefertigt, also kein Ready-made. Joseph Beuys hatte sich explizit 1964 mit der Aktion „Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet“ vom Duchampschen Begriff des „AntiKunstwerks“, bei dem das Phänomen des Ready-made im Zentrum steht, demonstrativ abgesetzt. Für Beuys war Kunst geistiges wie emotionales „Kapital“. Die Trennung von Kunst und Anti-Kunst war in seinem Konzept der Sozialen Plastik aufgehoben. Auch Sandro Antal setzte sich hier im frühen Werk sogleich auf seine Weise vom Duchampschen Postulat ab, brachte zwar alltägliche Gegenstände zur Ausstellung – in diesem Fall also, wie angeführt, Tisch und Schemel -, fabrizierte diese aber handwerklich wie Skulpturen. Der Künstler ist sowohl konzeptuell wie materiell Schöpfer des Werks, lenkt in der expliziten Wahl von Material und Form den Fluss der künstlerischen Symbolsprache. Dabei können – wie bei „Made by Düsselstahl“ -vorgefundene Elemente in den mimetischen Gestaltungsvorgang durchaus eingebaut werden. In der Regel aber baute Antal nun seit der Pilotarbeit Skulptur-Tisch von 1980 seine Werke – in der großen Mehrzahl aus Stahlblech – selbst und richtete sich dabei mimetisch nach gebräuchlichen realen Gebrauchsgegenständen. Damit hob er sich zum Beispiel von vornherein ab von seinem Düsseldorfer Studienkollegen Reinhard Mucha, bei dem jeweils vor Ort vorgefundene Möbelstücke Ausgangspunkt komplexer Installationen wurden. Gemeinsam war aber hier wie dort die künstlerische Verwendung von Möbelstücken, die als Alltagsskulpturen begriffen wurden durch deren Verwendung nun die Mechanismen der Kunstproduktion, die problematische Frage nach der Aura des Kunstwerks und die Argumentationen der Kunst-/Anti-Kunst-Diskussion durchgespielt werden konnten.
Tisch und Schemel aus Stahl wurden also zu einem ersten Grundmodul des weiteren Werks bei Antal. Die einfachen reduzierten Ur-Formen, die er dabei verwendete, waren als Reflex des Minimalismus zunächst werkprägend. Aus diesem Kanon der nicht-erzählerischen minimalistischen Grundform brach Antal 1985 mit der Arbeit „Revier – St 37″ dann überraschend aus. In den rohen Betonguß einer noch nicht in Betrieb genommenen Busstation in Lüttich stellte Antal eine Ansammlung von fünf aus Stahl gebauten identischen Werkbänken – in der Art von made in Düsselstahl – und spannte Eisenstücke mit Glühbirnen in deren Schraubstöcke. Es entstand so ein „Rudel“ von vier Vierzehnendern und einem Sechzehnender in der Baugrube. Antals Skulptur wurde so durch das figurative Element erweitert und rückte bewusst durch das Thema nahe an Positionen des Kitsches bekanntlich ist das Bild des röhrenden Hirsches die Kitschfigur in der bildenden Kunst schlechthin. Dieses Ensemble „Revier – St 37″ ist als eine Vorläuferskulptur zur neuen Arbeit Triebwerk in unserem Zusammenhang von besonderem Interesse. 1986 wurde die Werkgruppe auch im Foyer der Eingangshalle des Düsseldorfer Kunstmuseums präsentiert. Zweifellos war das Skulpturenensemble der Hirsche mit der Wiederaufnahme des Motivs der Werkbänke eine Fortführung des animalisch beseelten, oben beschriebenen Balance-Aktes von 1984. Dennoch blieb das plötzliche Erscheinen des Motivs bei Antal geheimnisvoll, in meinem Text zur Ausstellung, 1986, sprach ich von den „Irritationsmomenten“, die in das Kunst-Stück eingebaut seien und von „gebündelter Energie“, die hier zum Strahlen gebracht werde.‘ Eine ikonographische Erklärung aber war damit noch nicht gegeben. Auf die Verbindung des Motivs zur Hirschvision des Heiligen Hubert – Bischof von Lüttich – hätte hingewiesen werden sollen. Der Schlüssel zum Verständnis des Werks aber liegt, so sehe ich es heute, in der besonderen Nähe des Werkgedankens von Antal zu demjenigen von Beuys. Diese Nähe war, wie angeführt, schon in der Abwendung vom Konzept des Ready-mades begründet, andererseits manifestiert sie sich in der symbolischen Einsetzung des Materials. Stahl hat für Antal ebenso metaphorische Bedeutung wie bestimmte andere Werkstoffe – vor allem bekanntlich Fett und Filz – bei Beuys. Stahl verkörpert Dauerhaftigkeit, Starrheit, Schwere und wurde vom Künstler mehrfach mit anderen konträren Materialien Federn, Erde, Kohle, Glas – dialogisch kombiniert.
1982 schuf Beuys für die Ausstellung Zeitgeist im Lichthof des Martin-Gropius-Baus in Berlin die Rauminstallation
Hirschdenkmäler, die 1985 zu einer veränderten dauerhaften Rauminstallation Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch weiterentwickelt werden sollte.‘ Das Thema des Hirsches – wie überhaupt die Tierthematik – hat Beuys sein Leben lang beschäftigt, insbesondere der Hirsch war für ihn eine besondere mythische Figur, mit den Kräften des Zaubers wohlvertraut. Insgesamt drei Hirschfiguren, darunter die Plastik Hirsch von 1958 mit einem Bügelbrett als Rücken, erscheinen in der Berliner Installation, in der – um der
Arbeit Werkstattcharakter zu verleihen – auch drei veritable Werkbänke mit Gerät erscheinen. Die Installation wurde überragt von einem großen Lehmberg. Zu seinen Hirschdenkmälern führte Beuys im Katalog zur Ausstellung aus, sie seien „Akkumulatationsmaschinen, an denen Menschen und andere Geister sich treffen (…) um den Kapitalbegriff und damit die Weltläufe in die richtige Form zu bringen.“
Der Akkumulator speichert Energie, das Triebwerk liefert Energie technische Begrifflichkeit und Naturphänomen werden bei Beuys wie später auf andere Weise bei Antal in eine Relation gebracht. Dies gilt genauso für die Verbindung der Motive Werkbank und Hirsch, später bei der dauerhaften Installation für die Verbindung von Hirschmotiv und Lichtschein. Die Nähe der Installation Revier – St 37 und damit folgend auch diejenige der folgenden Hirschskulpturen Antals, also Lichtung, 1989, mit dem kopulierenden lichttragenden Hirschen und Triebwerk, 2003, ist offensichtlich, wie auch andere Motive aus dem Berliner Werk von Beuys später ein Echo fanden: Der Lehmberg steht so in engem Bezug zur Antal-Skulptur des Black Everest, 1984, wie auch zu der Arbeit des stählernen Bettes mit dem Erdhügel „Meine Großmutter die Erde“, 1985, der 1988 gegenüber der Düsseldorfer Kunstakademie eine Außenversion folgte. Von der künstlerischen Konzeption und von der Verwendung der Materialsymbolik her, verweist das Motiv des Stahlbettes mit dem Erdhügel aber auch – in unterschiedlicher Symbolik – auf den Beuysschen Fettstuhl, 1963.
Damit steht das Werk von Sandro Antal in einem anderen Licht, als dies bisher im Allgemeinen wahrgenommen wurde. Nicht vorrangig der prononcierte Stahlästhetiker beweist sich in diesem Werk, sondern der sensible Materialsymboliker. Die Skulpturen und Raumarbeiten von Antal werden zusammengehalten durch den großen Bogen eines künstlerischen Entwurfs, der das kalte Material Stahl als den Ausgangspunkt der Arbeit am Ende beseelt und somit Aspekte der Naturforschung zum Thema erhebt.
Stephan von Wiese